© UNICEF/UNI585293/KhalidEinem kleinen Jungen wird Wasser aus einer Flasche in die Hände geschüttet
Blog

Hitze: Vier unbequemen Wahrheiten

Wieso Hitzewellen vor allem für Kinder so gefährlich sind


von Autorin Carla Giuseppina Magnanimo

Endlich sind die dunklen Wintermonate vorbei, endlich ist der Sommer da. Wenn es bei uns langsam wärmer wird, dann denken viele im nördlichen Europa an überfüllte Freibäder, eine leckere Kugel Eis oder nette Grillabende im Garten. Doch was, wenn die Temperaturen immer weiter steigen? Wieso wir Hitze immer noch unterschätzen, was an ihr so gefährlich ist und wieso der Schutz vor Hitze ein Privileg ist.

Temperaturen wie in Pakistan, Saudi-Arabien oder Mexiko mit bis zu 50 Grad übersteigen unsere kühnsten Vorstellungen. In Mexiko starben zwischen März und April laut Medienberichten 48 Menschen – aufgrund von extremer Hitze. Ähnliches spielt sich auf der diesjährigen Pilgerfahrt nach Mekka ab: 1.300 Personen starben wegen Temperaturen um die 50 Grad. Und auch bei uns in Europa wird es immer heißer. Aber ist Hitze wirklich eine Gefahr für uns?

Fakt 1: Hitze wird oft unterschätzt

Viele können sich (noch) nicht vorstellen, was steigende Temperaturen alles anrichten können. Das liegt zum einen an der mangelnden Erfahrung mit extremer Hitze. Zum anderen erscheinen die Zahlen, die im Raum stehen, wenn es um die Erderwärmung geht, minimal - so wie die berühmten 1,5 Grad, dem Richtwert in Bezug auf die globale Erderwärmung, der eigentlich nicht überschritten werden sollte.*

1,5 Grad - das klingt nach viel zu wenig, als dass es relevant sein müsste. Aber dieser Eindruck täuscht. Und zwar immens. Die Klimatologin Friederike Otto vergleicht es in ihrem Buch „Klimaungerechtigkeit“ mit einem Fieber: Ob wir 37 Grad oder 38,5 Grad Körpertemperatur haben, macht einen großen Unterschied für unsere Gesundheit. 1,5 Grad bedeuten: Die Erde wird immer heißer. Und dies macht sich in intensiveren und häufiger vorkommenden Hitzewellen bemerkbar.

Allein während der Hitzewelle in Europa im Jahr 2003 sind mehr als 70.000 Menschen gestorben. Wetterdienste hatten die extreme Hitze zwar vorausgesagt, doch reagierten die Regierungen und Städte nicht mit den entsprechenden Maßnahmen - wie der Einrichtung von öffentlichen Räumen zum Abkühlen oder der Verbreitung von wichtigen Informationen. Länder wie Frankreich und Italien haben daraus gelernt und Hitzeschutzsysteme errichtet. Deutschland hinkt dabei noch hinterher.

Ein Kind versucht sich in Pakistan vor der Hitze zu schützen

Ein kleiner Junge in Pakistan versucht sich vor der Hitze zu schützen. Bei bis zu 47 Grad ist das ein schwieriges Unterfangen. Vor allem kleine Kinder sind durch Hitzewellen gefährdet.

© UNICEF/UNI585288/Ahmed

UNICEF schätzt, dass bis 2050 beinahe jedes Kind weltweit von Hitzewellen bedroht sein wird. Hitzewellen werden demzufolge auch bei uns in Europa immer bedrohlicher und zu einem Problem, was sich nicht mehr ignorieren lässt.

Fakt 2: Der Klimawandel verändert Hitzewellen

Der im August 2021 veröffentlichte Bericht des IPCC (Weltklimarat) berichtet Bedrohliches: Sowohl die durchschnittliche als auch die extreme Hitze hat auf allen Kontinenten zugenommen. Und dies ist auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen. Auch in Ländern, wie beispielsweise Indien, in denen es jährlich um die 40 Grad heiß wird, sind die Menschen mittlerweile Hitzewellen mit Temperaturen um die 50 Grad ausgesetzt. Das sind vier bis sieben Grad mehr als normal.

Eine Frau läuft auf einer steinigen Straße mit einem Eimer auf dem Kopf

Bhautee Meena, 28, während einer starken Hitzewelle vor ihrem Haus im Dorf Barki im Bezirk Karauli in Rajasthan, Indien.

© UNICEF/UNI592654/Magray

Ein häufig genutztes Argument gegen den Klimawandels lautet, dass es auch früher Wetterextreme wie Hitze, Überschwemmungen und Dürren gegeben hat. Und dass es damit keinen unnatürlichen Wandel im Klima gäbe. Dass es bereits extreme Wetterereignisse gab ist korrekt. Schon in den 1930er Jahren wurden die USA von einer heftigen Hitzewelle getroffen, die viele Menschen an den Rand ihrer Existenz brachte. Klimaforschende gehen allerdings davon aus, dass diese Hitzewelle ohne den Klimawandel deutlich weniger intensiv und verheerend gewesen wäre. Ähnlich verhält es sich mit Temperaturen in London 2022: 40 Grad hätte es ohne den Klimawandel dort nie gegeben, schreibt Friederike Otto in ihrem Buch “Klimaungerechtigkeit”.

Fakt 3: Hitze tötet - und ist besonders für Kinder gefährlich

Der Klimawandel stellt eine existenzielle Bedrohung für uns alle dar, aber schwangere Frauen, Babys und Kinder sind mit einigen der schwerwiegendsten Folgen überhaupt konfrontiert

Bruce Aylward Stellvertretender Generaldirektor für allgemeine Gesundheitsversorgung bei der WHO

Hitze ist mit Abstand das tödlichste Extremwetterereignis. Besonders Kinder, ältere Menschen und Schwangere sind gefährdet. Auch sozial isolierte Menschen, Obdachlose oder jene, die im Freien arbeiten, sind anfälliger, weil sie weniger Möglichkeiten haben sich abzukühlen.

Ein Vater steht mit seiner Tochter auf dem Arm in einem Fluss und schüttet ihr Wasser über den Kopf

Muhammed Arshad und seine Tochter Ayesha (4) finden in einem Kanal in Faisalabad in Pakistan Erleichterung vor der Hitze. Er gießt ihr Wasser über den Kopf, um ihr bei dem heißen Wetter Abkühlung zu verschaffen. Am 28. Mai 2024 herrschten in Faisalabad, Pakistan, sengende 47 °C. Die unnatürlich starke Hitzewelle in Pakistan hielt Wochen lang an. Hitze und steigende Temperaturen sind in Südasien nichts Neues, aber der Klimawandel führt zu häufigeren, heftigeren und längeren Hitzewellen, wodurch Kinder und Schwangere einem höheren Risiko ausgesetzt sind.

© UNICEF/UNI585350/Ahmed

Hitzebedingte Erkrankungen treten auf, wenn die Temperaturen so hoch sind, dass der Körper sich nicht mehr selbst abkühlen kann. Wenn die Temperaturen außerhalb des Körpers höher sind als die eigene Körpertemperatur, also idealerweise 36,5 Grad, kann der Körper keine überschüssige Hitze abgeben. Noch schlimmer wird es, wenn es nicht nur heiß ist, sondern auch noch eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht.

Am meisten betroffen sind natürlich wie so oft, diejenigen die sich am wenigsten schützen können: Säuglinge und jüngere Kinder haben Probleme mit der Regulierung ihre Körpertemperatur. Sie sind somit am stärksten von hitzebedingter Sterblichkeit bedroht. Je mehr Hitzewellen Kinder ausgesetzt sind, desto größer ist die Gefahr von Gesundheitsproblemen wie chronischen Atemwegserkrankungen, Asthma und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

„Der Klimawandel stellt eine existenzielle Bedrohung für uns alle dar, aber schwangere Frauen, Babys und Kinder sind mit einigen der schwerwiegendsten Folgen überhaupt konfrontiert“, sagt Bruce Aylward, stellvertretender Generaldirektor für allgemeine Gesundheitsversorgung bei der Weltgesundheitsorganisation. UNICEF betont immer wieder die Wichtigkeit, einen Fokus auf die körperliche und psychische Gesundheit von Kindern bei der Bekämpfung des Klimawandels zu legen und setzt sich für dieses Ziel ein.

Hitzewellen können sich auch negativ auf das Umfeld der Kinder auswirken: Schulen können schließen, sodass sie nicht weiter lernen können. Wasser wird knapp und Hitzewellen können Dürren weiter verstärken und verlängern, sodass Enten ausfallen, Menschen weniger zu essen haben und mehr Kinder an Mangelernährung leiden. Durch hohe Temperaturen können sich tödliche Krankheiten wie Cholera, Malaria und Dengue-Fieber schneller und leichter ausbreiten - mit schlimmen Folgen für schwangere Frauen und Kinder.

Fakt 4: Schutz vor Hitze ist ein Privileg

Die Anweisungen, was bei extremer Hitze zu tun ist, sind denkbar einfach: sich während der heißesten Stunden nicht im Freien aufhalten, kühle Orte aufsuchen, viel trinken oder nur leichte Kost zu sich nehmen. Aber was, wenn Menschen darauf angewiesen sind im Freien zu arbeiten, unter der glühenden Sonne? Was, wenn sauberes Trinkwasser ohnehin ein Problem ist, weil es kaum vorhanden ist? Und wenn ein Haus in einer informellen Siedlung, ohne Klimaanlage oder Ventilator, wo die Hitze zwischen den Wänden wabert, und alles aufheizt, der einzige Rückzugsort ist? Wie so oft, ist es eine Frage des Privilegs und Herkunft, ob Hitze gefährlich oder sogar tödlich werden kann.

Eine Mutter mit einem Kleinkind auf dem Arm und einem großen Fächer in der Hand

Hitzewellen sind für viele Menschen bedrohlich - besonders aber für Kinder und schwangere Frauen. Untersuchungen zeigen, dass Schäden bereits im Mutterleib beginnen und zu schwangerschaftsbedingten Komplikationen, Frühgeburten, niedrigem Geburtsgewicht und Totgeburten führen können.

© UNICEF/UNI579543/Paulash

In Ländern wie Malawi, Madagaskar und weiteren Ländern im östlichen und südlichen Afrika, sowie Bangladesch oder Pakistan im Süden Asiens, sind vor allem Kinder nicht ausreichend versorgt, beispielsweise mit sicherem Trinkwasser. Sie sind Wetterextremen wie Hitze schutzlos ausgeliefert. Im Südsudan, Bangladesch, Indien, den Philippinen und Pakistan kam es 2024 bereits zu Schulschließungen aufgrund von anhaltender Hitze. Allein in Pakistan konnten mehr als die Hälfte der Schulkinder nicht weiterlernen. Die Kinder verpassen dadurch wichtige Chancen ihr Potential zu entfalten und sich eine bessere Zukunft aufzubauen.

Diese Orte erscheinen uns im vergleichsweisen kühlen Europa weit weg. Doch ein UNICEF Report stellt fest, dass in Deutschland im Jahr 2020 3,3 Millionen Kinder häufig Hitzewellen ausgesetzt waren. 4,1 Millionen unter 18-Jährige erlebten schwere Hitzewellen. Bei einer Erderwärmung um 2,4 Grad werden im Jahr 2050 nahezu alle Kinder in Deutschland hiervon betroffen sein. Und auf einmal rückt das alles doch ein Stückchen näher.

Die nigerianischer Klimaaktivistin Adenike Oladosu fasste es am 1. Oktober 2021 passend zusammen: "Wenn Afrika nicht sicher ist, ist Europa definitiv nicht sicher, also ist es nirgendwo sicher, bis es überall sicher ist. Wir befinden uns in einem Wettlauf gegen die Zeit, und die Zeit zum Handeln ist jetzt."

* 2023 stand die Erderwärmung bereits bei 1,2 Grad


Carla Giuseppina Magnanimo
Autor: Carla Giuseppina Magnanimo

Online Editor
Stiftung United Internet for UNICEF